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Ein Interview für unser Magazin „Start-up Campus OWL“ mit Dr. Johannes Velling, Leiter der Abteilung „Digitalisierung, Startups und Dienstleistungen“ im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.

Gründungen aus der Wissenschaft sind ein wesentlicher Innovations-, Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor für Deutschland insgesamt aber insbesondere auch für NRW als Bundesland mit hoher Dichte an Hochschulen. Wie sieht Ihre Agenda für die Legislaturperiode in Bezug auf Hochschulausgründungen aus? Mit welchen Programmen bzw. Maßnahmen möchten Sie dieses Potential in den nächsten Jahren für NRW heben? Welche Rolle nehmen die Exzellenz Start-up Center.NRW (ESC.NRW) in dieser Agenda ein?

Wir wollen nachhaltig ein optimales Gründungsklima in NRW schaffen und die Start-up- und Innovationskultur zu einem Aushängeschild NRWs machen. Die neue Landesregierung setzt auf Kontinuität bei der Unterstützung von Gründungen, weitet die bestehenden Aktivitäten punktuell aus und setzt neue Akzente in bestimmten Bereichen, beispielsweise bei Social- und Women-Entrepreneurship oder Climate Tech. Start-ups wurden im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien in der Tat ein besonders großer Umfang gewidmet. Im Koalitionsvertrag heißt es zu diesbezüglichen Aktivitäten im Hochschulsektor: „Deshalb werden wir die Initiative ‚Exzellenz Start-up Center.NRW‘ verstetigen und an weiteren Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften ausbauen. Wir schaffen ein Gründungsbudget für die Hochschulen, dass diese in eigener Verantwortung und bürokratiearm zur Unterstützung von Gründerinnen und Gründern verwenden können.“ Dies ist als klarer Auftrag an die Landesregierung zu verstehen, die erfolgreiche Maßnahme Exzellenz Start-up Center.NRW weiterzuführen und auszuweiten. Außerdem wird die Bedeutung von Patenten als Gründungsbaustein für Ausgründungen anerkannt und eine Nutzung zu fairen Bedingungen gefordert.

Die ESC.NRW haben seit 2019 einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, das Transfer- und Gründungspotential aus Hochschulen zu stärken, um NRW neben bspw. Berlin oder München als gründungsstarkes Bundesland zu entwickeln. Wie beurteilen Sie den Mehrwert der ESC.NRW und die weiteren Potentiale?

Bei den Exzellenz Start-up Centern hat die damalige Landesregierung bewusst viel Geld in die Hand genommen, um an den ausgewählten sechs Universitäten einen Quantensprung beim Thema Entrepreneurship und Ausgründungen zu erreichen. Die jährlichen Mittel betragen ein Vielfaches etwa der Mittel, die im Rahmen der EXIST-Wettbewerbe des Bundes bereitgestellt wurden. Mit den Mitteln konnten so Strukturen an den geförderten Universitäten aufgebaut werden, die eine enorme Wirkung in die ganze Universität hinein entfalten. Man kann in der Tat sagen, in der Geschichte Deutschlands gab es nie zuvor eine solche Kraftanstrengung, diese Themen so stark voranzubringen. Die ESC.NRW nehmen eine zentrale Rolle in der Identifizierung von Gründungsthemen an Universitäten, in der Verbreitung von Entrepreneurship-Gedanken und dem Angebot an Lehrveranstaltung etc. ein. Studierende sollen für das Thema Gründung sensibilisiert und motiviert werden und schließlich auch bei der Umsetzung einer Gründungsidee professionell begleitet werden. Ziel ist es, ein international sichtbares Innovationsökosystem mit dem Gründungsstandort Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Ich nehme bereits jetzt wahr, dass unsere Exzellenz Start-up Center in NRW ihre Aufgabe als Leuchttürme im regionalen Ökosystem ausüben und damit als Magnet für Gründerinteressierte aus In- und Ausland dienen.

Eines der sechs ESC.NRW-Projekte bildet das Exzellenz Start-up Center.OWL (ESC.OWL) an der Universität Paderborn mit der Projektleitung aus der garage33/TecUP ab. Wie sehen Sie die Innovationsregion OWL und insbesondere das durch den ESC.OWL entwickelte Gründungspotential?

Bereits in der Vergangenheit hat die Region OWL ihr Innovationspotential unter Beweis gestellt, etwa durch das Spitzencluster Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe (it`s OWL), eine Kooperation von über 180 Unternehmen. Das ESC.OWL nimmt eine besondere Rolle in dem Innovationssystem ein, indem es die Stärke der Universität Paderborn aufgreift und auf bereits bestehenden Strukturen zur Gründungsförderung aufbaut. Durch den Bau des Akzelerator.OWL mit Maker Space wird das ESC.OWL zukünftig noch stärker als Magnet für Innovation und Start-ups in die Region wirken und besondere Angebote schaffen. In OWL entstehen insbesondere B2B-Gründungen des Internets der Dinge, der additiven Fertigung und der industriellen Transformation. Außerdem wird durch die Einbindung der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und der Fachhochschule Bielefeld durch die Universität Paderborn das Gründungsökosystem in der gesamten Region OWL nachhaltig gestärkt. Durch die Beratungsangebote des TecUP sowie der Partnerhochschulen, durch umfangreiche Sensibilisierungs- und Qualifizierungsprogramme, verschiedene Veranstaltungsformate, den Zugang zu Wagniskapital und Prototypingkapazitäten im zukünftigen Maker Space, finden Gründungsinteressierte und Gründungsteams die idealen Voraussetzungen, um ihre innovationsgetriebenen Gründungsvorhaben umzusetzen. Die Steigerung der innovativen, digitalen Unternehmensgründungen wird sich nachhaltig positiv auf die gesamte Wirtschaftsregion Ostwestfalen-Lippe auswirken.

Nach der erfolgreichen Zwischenevaluation im Frühjahr 2022 durch eine ausgewählte Jury konnten alle ESC.NRW-Projekte ihre Weiterführung bis Ende 2024 sicherstellen, darüber freuen auch wir uns sehr. Was wünschen Sie sich für die Restlaufzeit der ESC-Projekte und wie sehen Sie die Weiterentwicklung dieser Exzellenz-Start-up-Initiativen?

Für die Restlaufzeit wünsche ich mir, dass die bereits aufgebauten Strukturen sich weiter verfestigen, stabilisieren und dadurch „wetterfest“ gemacht werden und die Universitäten ihre Zusagen zur Nachhaltigkeit einhalten. Außerdem sollen die ESC.NRW zunehmend in die Regionen hineinwirken und sich der Gedanke der Professionalisierung der Entrepreneurship-Aktivitäten auf weitere Hochschulen übertragen. Ich gehe davon aus, dass alle ESC-Projekte ihre abgesteckten Ziele, KPIs und Meilensteine bis zum Ende der Projektlaufzeit erreichen. Eine enge Verzahnung zwischen den ESC-Projekten und Hochschulen, sowie weiteren Gründungsprojekten ist ein wichtiges, weiteres Ziel zur nachhaltigen Gründungsförderung in NRW, wie auch eine internationale Sichtbarkeit des Gründungsstandortes NRW zu schaffen.

In welchen Branchen sehen Sie aktuell besondere Potenziale für Ausgründungen?

Ein übergreifendes Thema ist sicherlich Nachhaltigkeit, wie auch der Deutsche Startup Monitor 2022 deutlich zeigt – ein Querschnittsthema, das viele Bereiche betrifft, immer mehr Gründungsteams interessiert, attrahiert und sich als Querschnittsgedanke durch viele Gründungsvorhaben zieht. Außerdem wird auch weiterhin Software as a Service eine wichtige Rolle spielen und B2B-Geschäftsmodelle werden noch mehr an Dynamik gewinnen – hier ist NRW bereits gut aufgestellt. Sicherlich werden wir auch in den Bereichen Life Science, Health Care und Climate Tech viele gute Ideen sehen. Besondere Potenziale für Ausgründungen stellen immer innovative High-Tech-Ideen dar, welche einen wichtigen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen wie der Klimakrise leisten. Hierfür wurde das maßgeschneiderte Accelerator-Programm HIGH-TECH.NRW aufgesetzt, in welchem innovative Gründerinnen und Gründer mit Hochschulen, Industrie, Unternehmen und Investorinnen und Investoren vernetzt sowie eine Venture-Plattform und Brücken für eine klimafreundliche und wettbewerbsfähige Wirtschaft gebaut werden.

Wie Sie bereits erwähnt haben, werden Initiativen wie Social Entrepreneurship, Women Entrepreneurship oder Climate Entrepreneurship einen besonderen Stellenwert in der Agenda der Landesregierung haben. Wie intendieren Sie, diese Themen zu entwickeln bzw. zu fördern?

Der Koalitionsvertrag setzt eine Reihe von Akzenten und liefert Ansätze, denen wir nachgehen werden. Das Potential von Frauen im Gründungsgeschehen bleibt noch zu ungenutzt. Das hat viele Ursachen, die wir einzeln angehen müssen und werden – u. a. durch die Ermutigung von Frauen über weibliche Vorbilder oder die Mobilisierung von Investorinnen und Mentorinnen über paritätisch besetzte Entscheidungsgremien. Initiativen wie „FRAUEN unternehmen“ sollen gestärkt werden. Beim Thema Social Entrepreneurship sind wir bereits gut aufgestellt und werden unsere Aktivitäten weiter verstärken. Im Bereich Green- und Climate Tech haben wir beispielsweise mit dem KUER.NRW Businessplan Wettbewerb bereits einen eigenen Wettbewerb in NRW für grüne Gründungen. Auch mit dem Global Entrepreneurship Centre und dem Circular Valley führen wir seit geraumer Zeit viele Aktivitäten durch. Insgesamt setzen wir auf Diversität im Start-up-Kontext und wollen daher sowohl den Anteil an Gründerinnen und Gründer mit Migrationsgeschichte deutlich erhöhen. Man kann sicher sein, dass all diese wichtigen Themen mit einer grünen Wirtschaftsministerin eine hohe Aufmerksamkeit genießen werden.

Wo sehen Sie in der NRW-Start-up-Szene noch weiteren Entwicklungsbedarf und wie können die ESC.NRW dabei unterstützen?

Zum einen brauchen wir ein Start-up Ökosystem, welches sich selbst nährt, in dem erfolgreiche Gründerinnen und Gründer ihr Wissen und Geld auch wieder ins System einspielen, also ein Ökosystem, welches Stärke ausstrahlt. Dies ist eine permanente Aufgabe, in dem die ESC.NRW als zentrale Player natürlich eine wichtige Rolle einnehmen. Gerade das Thema Scale-ups ist in NRW noch ausbaufähig. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir mit dem Scale-up.NRW Programm an diesem Punkt im letzten Jahr angesetzt. Die ESC.NRW können beim Wachstum und der Internationalisierung unterstützen. Vor allem aber haben die ESC.NRW die zentrale Aufgabe und sind unverzichtbar, wenn es darum geht, die Zahl der Start-ups und insbesondere die Zahl der Deep-Tech-Start-ups, die durch die Technologietiefe häufig einen Hochschul- bzw. Wissenschaftshintergrund haben, zu erhöhen und Entwicklungen aus diesen Bereichen zu beschleunigen. Die NRW-Start-up-Szene bedarf aber auch einer weiteren Förderung durch die Politik, um sich weiterentwickeln zu können. Politische Maßnahmen wie beispielsweise ein Gründungsfreisemester an Universitäten wie in der letzten Legislaturperiode in NRW umgesetzt tragen zur Gründungsförderung bei. Ebenso ist die weitere Sensibilisierung innerhalb NRWs in Hinblick auf die Start-up-Kultur und Gründungsunterstützung von essenzieller Bedeutung und der Zugang zu Wagniskapital zu verbessern. Insbesondere bei der Sensibilisierung können die ESC.NRW eine unterstützende Rolle als zentrale Anlaufstelle für Gründungsthemen darstellen, sowie das Verzahnen von Wissenschaft und Wirtschaft.

Neben dem ESC.OWL läuft an der Universität Paderborn ebenfalls das Bauprojekt Start-up Campus OWL mit dem Projekttitel Akzelerator.OWL mit einem integrierten Maker Space für Gründungsinteressierte, Ausgründungen und Partnerunternehmen. Welche Vorteile sehen Sie hierbei für das ESC.OWL – gerade in Bezug auf die Stärken der Region OWL wie digitale Transformation, IoT, Industrie 4.0 und Additive Manufacuring?

Durch den neuen Start-up Campus wird eine zentrale Begegnungsstätte für alle Stakeholder der Gründungsszene, Studierende sowie Unternehmer und Unternehmerinnen geschaffen. Neben der Transformation von Wissen in nachhaltige Geschäftsmodelle, schafft dieser Ort eine Fläche für zufällige Begegnungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen und fördert somit die Sensibilisierung für das Thema Gründung. Zusätzlich bietet der Maker Space die Möglichkeit zum Prototyping, Ideen in einen Prototyp umzusetzen und die Wirtschaft insbesondere mit dem IIoT-Space zu unterstützen. Somit stärkt der neue Campus die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen der Region OWL und der Universität Paderborn.

TecUP als Gründungscenter der Universität hat im Jahr 2017, initiiert durch regionale Wirtschaft und Kommunal- und Landespolitik, das Innovationsquartier garage33 als Freiraum für Gründer:innen und Unternehmer:innen aufgebaut, um zum einen den Start-up Zugang zu Unternehmen zu ermöglichen, andererseits regionalen Unternehmen Zugang zu Methoden und Personen zu ermöglichen, um disruptive Innovationen und Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. Hierdurch sollen junge, aber auch etablierte Unternehmen ihr Innovationspotential und ihre Zukunftsfähigkeit stärken. Inwiefern ist ein starkes Netzwerk rund um jedes Exzellenz Start-up Center bzw. allgemeiner die Öffnung der Hochschulen für Transfer und Gründungen essenziell? Stehen diese Aspekte auch auf Ihrer Agenda? Wenn ja, welche Initiativen wollen Sie in der kommenden Legislaturperiode diesbezüglich angehen?

Eine starke Vernetzung und Verzahnung zwischen den Exzellenz Start-up Centern, Hochschulen und der Wirtschaft ist von essenzieller Bedeutung, insbesondere im Rahmen von Transfer und Gründungen. Zum einen kann nur so eine gegenseitige Befruchtung von zwischen Forschung und Unternehmung gewährleistet werden. Zum anderen können durch die Forschung von heute Unternehmensideen von Morgen schaffen und die Wirtschaft nachhaltig fördern. Dafür wird sich die Landesregierung auch in der neuen Legislaturperiode einsetzen. Der Koalitionsvertrag gibt den Rahmen für neue Initiativen vor. Das bisher Erreichte kann sich bereits mehr als sehen lassen, aber es bleibt genug zu tun.

Vielen Dank für das Interview!

Kurzbiografie Dr. Johannes Velling
Dr. Johannes Velling ist Leiter der Abteilung „Digitalisierung, Startups und Dienstleistungen“ im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen und verantwortet u.a. die Bereiche Digitale Wirtschaft, Start-ups und Spin-offs, Entrepreneurship und Finanzierungen. Vor dem Wechsel nach NRW 2018 entwickelte er über knapp 15 Jahre die Start-up-Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, darunter die verschiedenen Bundesprogramme zur Mobilisierung von Wagniskapital für Start-ups wie die Konzeption des High-Tech Gründerfonds, das Programm „Existenzgründungen aus der Wissenschaft (EXIST)“, den INVEST-Zuschuss für Business Angel sowie den German Accelerator im Silicon Valley, in New York, Boston und Singapur.

Hinweis: Das Interview wurde am 6.10.2022 für unser Magazin „Start-up Campus OWL“ (erschienen im Dezember 2022) geführt.